Krieger, Wolfgang (Hrsg.):
Geheimdienste in der Weltgeschichte. Spionage und verdeckte Aktionen
von der Antike bis zur Gegenwart,
C.H. Beck: München 2003, Sammelband, 379 S.
Rezension von Erich Schmidt-Eenboom
Der zeitliche Bogen ist für eine Anthologie weit gespannt. Er reicht
von den Geheimdiensten Alexanders des Großen (Jakob Seibert) und
Hannibals (Pedro Barceló) über Kryptographie und geheime Nachrichtenübermittlung
in griechisch-römischer Zeit (Wolfgang Kuhoff), Geheimdienste im
Hundertjährigen Krieg (Christopher Allmand) und der Geheimdiplomatie
des Papsttums (Stefan Weiß) bis zu Richelieu und Père Joseph (Klaus
Malettke) und bezieht außerhalb Europas die Spionage im Alten China
(Helwig Schmidt-Glintzer) und Indien (Friedrich Wilhelm) ein.
Bereits hier wird der Zufallscharakter der Zusammenstellung deutlich. Die Abfolge
der Beiträge ist weder von historischen noch geografischen Gesichtpunkten
geleitet, sie folgt offensichtlich der Maxime, zu drucken, was im
Kollegenkreis gerade verfügbar war. Für die Neuzeit dominieren biographisch
orientierte Beiträge zu Bismarcks Geheimdienstchef Wilhelm Stieber
(Stephan Weiß) und einige Remakes zu austauschbaren Agentengeschichten
wie Oberst Redl (Albert Pethö), Mata Hari (Gerhard Hirschfeld),
Anthony Blunt (Thomas Noetzel) und Günter Guillaume (Hubertus Knabe).
Aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs werden „Die Nachrichtendienste
und die Niederlage Frankreichs 1940“ (Ernest R. May) sowie die ENIGMA-Schlüsselmaschine
(Jürgen Rohwer) behandelt. Nach Aufsätzen über die Geheimdienste
des Dritten Reichs oder der Sowjetunion sucht man ebenso vergebens
wie nach systematischen Betrachtungen der Rolle der Auslandsnachrichtendienste
während der Blockkonfrontation. Da sind der periphere Gesichtspunkt
der sowjetischen (An-)Leitung beim Aufbau der DDR-Geheimdienste
(Roger Engelmann) und eine Übersicht über verdeckte Aktionen der
CIA in Amerikas geheimer Außenpolitik (Loch K. Johnson) eingeflossen.
Wie eingestreut wirken auch Einzelfallanalysen aus Israel von Yigal
Sheffy zum Überraschungsangriff auf Israel 1973 und von Shlomo Shpiro
der Beitrag über Adolf Eichmann und den Mossad bzw. die Darstellung
der „Rainbow Warrior“-Affäre von Maurice Vaisse.
Die Autoren sind ausgewiesene Fachleute auf ihrem Gebiet, ihre Studien kommen
solide daher, bieten dem Leser aber kaum Neues, stammen zum guten
Teil aus eingekürzten Büchern oder erweiterten Vorträgen. Auch in
der Einleitung versteht es Wolfgang Krieger nicht, der fehlenden
Systematik eine analytische Klammer zu verleihen. Vielmehr scheitert
sein Versuch, Brücken zwischen den Beiträgen zu bauen, und er verliert
sich in Analogien grenzenloser Reichweite. Am Ende überrascht er
mit dem Geständnis, nur „einen bunten Strauss von Beispielen
und Perspektiven“ gesammelt zu haben. Der Herausgeber selbst wartet
mit zwei Beiträgen auf „Dr. Schneider’ und der BND“ sowie „Der 11.
September: ein Versagen der Geheimdienste?“ Wo ihm die Frankfurter
Allgemeine Zeitung attestiert, er kultiviere „eine Art konspirativen
Stils“, tut sie ihm bei der Teilbiographie Reinhard Gehlens unrecht.
Krieger hat alle wesentlichen Gesichtspunkte der Entwicklung der
Organisation Gehlen und des Bundesnachrichtendienstes herausgearbeitet
und ihre Interdependenzen gescheit präsentiert. Was zu denken gibt,
ist jedoch die Berücksichtigung des Forschungsstandes. Als unerschlossenes
Feld erscheinen bei Krieger beispielsweise die technische Aufklärung
durch die Organisation Gehlen oder die Geheimdienstpolitik während
der sozial-liberalen Regierungszeit in den siebziger Jahren.
Das im Vorjahr erschienene Werk „Gegen Freund und Feind“ von Peter
F. Müller und Michael Müller bietet aber gerade dazu ein aus nachrichtendienstlichen
Akten gewonnenes komplettes Bild. An der Tatsache, dass es Journalisten
waren, die dieses Neuland erschlossen haben, kann Kriegers Ignoranz
gegenüber diesem Buch nicht liegen. Das Werk der SPIEGEL-Redakteure
Heinz Höhne und Hermann Zolling „Pullach intern“ zählt er schließlich
zur Standardliteratur und in seinem Schlußbeitrag, der skizzenhaft
und undifferenziert bleibt, stützt er sich fast ausschließlich auf
us-amerikanische Zeitungsmeldungen.
Für eine wissenschaftliche Bibliothek ist die Anschaffung des Sammelbandes
angesichts seines geringen Neuigkeitswerts durchaus verzichtbar
und der interessierte Laie ist mit den Klassikern zur Weltgeschichte
der Spionage von Janusz Piekalkiewicz oder Phillip Knightleys Geschichte
der Spionage im 20. Jahrhundert weiterhin besser bedient. Was aber
mag einen Hochschullehrer bewogen haben, ein solches „Sammelwerk“
zu veröffentlichen? Der BND sucht mit Blick auf sein sechzigjähriges
Bestehen im Jahr 2006 einen Haushistoriker, der Zugang zu Unterlagen
aus den Anfangsjahren des Kalten Kriegs bekommen wird. Man kann
Kriegers Aufsätze durchaus als Bewerbungsschreiben für diesen Posten
auffassen, äußert er doch seine Hoffnung, dass die Geheimdienste
„zumindest ihre Akten zu abgeschlossenen historischen Vorgängen“
herausrücken.
|
|