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Grimmer, Reinhard, Werner Irmler, Willi Opitz, Wolfgang Schwanitz (Hrsg.):
Die Sicherheit. Zur Abwehrarbeit des MfS, edition ost im Verlag Das Neue Berlin: Berlin 2002, 2 Bände

Rezension von Erich Schmidt-Eenboom


Das Band, das zwanzig führenden Mitarbeiter des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR bei ihren Studien zur Abwehrarbeit des MfS einigt, ist der unerschütterliche und durch 40 Jahre DDR nicht erschütterte Glauben, eine legale und legitime Schutzfunktion für einen sozialistischen Staat auf deutschem Boden ausgeübt zu haben. Das spiegelt sich in der nachvollziehbaren völkerrechtlichen Perspektive, die jedem Nationalstaat das Recht auf nachrichtendienstliche Selbstverteidigung zubilligt, ebenso wie in der demokratiefeindlichen Auffassung, der Klassenfeind im Innern sei zu Recht Ziel geheimer Vorfeldaufklärung und Kontrolle durch hauptamtliche Staatsschützer und IMs gewesen. Wo Peter Michael Diestel, der letzte Innenminister der DDR, dem zweibändigen Werk mit seinen 1.248 Seiten attestiert, es ginge „an keiner Stelle des Buches“ um Rechtfertigung, übersieht er, dass die Verwundungen der Autoren durch eine erst langsam abflauende Tendenzliteratur an vielen Stellen doch sichtlich durchschlagen. Notorische BND-Sympathisanten werden das opulente Werk deshalb in die Kategorie „Memoiren aus dem Stasi-Milieu“ (Karl Wilhelm Fricke) einordnen, schon weil sie glauben, sich so der akademischen Pflicht zur Auseinandersetzung mit den gegenläufigen Informationen und Wertungen entziehen zu dürfen. Ignoranz jedoch haben die vor allem sachlichen Beiträge jedoch nicht verdient. Je tiefer man sich in die Einzeldarstellungen hineinliest, desto mehr erweisen sie sich als notwendiges Gegengewicht zu einer vorurteilsbeladenen MfS-Publizistik. 

An den Anfang der Darstellung hat die durchdachte Systematik einen Abriß des Auflösungsprozesses des MfS von Gerhard Niebling und Wolfgang Schwanitz gestellt, der das Ende und die Abwicklung des MfS dokumentiert, flankiert von einer „notwendigen Empfehlung zur Nachlese“, die das vergebliche Bemühen spiegelt, 1990 sowohl ein „Generalpardon“ für MfS-Angehörige und IM wie eine über den Einzelfall hinausgehende Teilkooperation mit dem alten Gegner zu erreichen. Die einleitenden Studien von Reinhard Grimmer, Werner Irmler, Gerhard Neiber und Wolfgang Schwanitz zur „Sicherheitspolitik der SED“ und den Hauptaufgaben und Methoden der Abwehr zeichnen den politischen Rahmen, der dem MfS von der SED und dieser von der Rolle der DDR als exponiertester östlicher Frontstaat des Kalten Krieges diktiert wurde. Die entfaltete „östliche“ Sicht der Blockspaltung kommt dabei neueren amerikanischen Forschungen über die Anfänge des Ost-West-Konflikts und über die US-Eindämmungsstrategie näher als so manche (west-)deutsche Publikation. Die Autoren belegen, dass westliche Dienste sich nicht mit der Informationssammlung über den Vorposten des Warschauer Vertrags beschieden, sondern – je jünger die DDR, desto agressiver – das ganze Spektrum des verdeckten Kampfes einsetzten, um dem „Arbeiter- und Bauernstaat“ das (Über-)Leben schwer zu machen. Die SED reagierte auf die unübersehbare Offensive des Westens mit einem massiven Ausbau des gesamten Sicherheitsapparats und behauptete sich als Staat und Vorfeld des großen Bruders in Moskau. Der in den 70er Jahren gestarteten weichen Westoffensive „Wandel durch Annäherung“, die den Anschluß der DDR gleichermaßen zum Endziel hatte, begegnete sie jedoch mit großer Hilflosigkeit. Die bisher öffentlich kaum thematisierten Spannungen zwischen SED und MfS schlagen hier wie an vielen Stellen des Buches durch. Das MfS war nicht etwa nur Schild und Schwert der Staatspartei, sondern auch ihr Lückenbüßer und Opfer, wurde zu „Ersatzhandlungen für politische Defizite“ herangezogen und litt unter einer „ausufernden Aufgabenübertragung“, die dem ab 1990 propagierten Zerrbild von der Allmacht der Stasi Vorschub leistete. Hier hätten die Autoren über manchen Schatten springen und beweisen können, dass es im MfS nicht nur allgemeinen Unmut gegen die politischen Vorgaben gab, sondern konkrete Widerstände. Dass der 17. Juni 1953 und die Montagsdemonstrationen 1989 fremdgesteuerte Veranstaltungen waren, wurde von der SED-Propaganda behauptet, vom MfS wider streckenweise besseres Wissen nicht entschieden widerlegt. Allein die Tatsache, dass Erich Honecker MfS-Berichte wie Informationen aus der Westpresse vorkamen, ist keine hinreichende Entschuldigung für Nibelungentreue und Karriererücksichten. Nicht nur die Fachwelt ist neugierig, wie die Gegenspiele der Abwehr gegen westliche Nachrichtendienste im Einzelnen aussahen. Schon der Fall des BND-Agenten im Militärverlag der DDR, der fast zwanzig Jahre ein Doppelspiel mit seinem Pullacher Verbindungsführer aufzog, kommt zu kurz. Dass die Insider einerseits offensichtlich weitere Fälle mit ins Grab nehmen wollen, aber die Birthler-Behörde andererseits zur diesbezüglichen Aktenfreigabe auffordern, will nicht recht zusammenpassen. 

Hardi Anders und Willi Opitz gelingt es, in dem Aufsatz über „Die Zusammenarbeit mit Inoffiziellen Mitarbeitern“ verbreitete Vorurteile über den zahlenmäßigen Umfang und den Schwerpunkt des Einsatzes von IM gerade zu rücken. Statt der von Medien hochgestapelten bis zu zwei Millionen waren es ca. 110.000 und nur 1,5 Prozent von ihnen drangen in die Intimsphäre ihrer Zielpersonen ein. Karli Coburger und Peter Rauscher geben im Beitrag „Operative Ermittlung und Beobachtung“ einen guten Einblick in die Ermittlungsarbeit des MfS im gesellschaftlichen Vorfeld. Nähere Erläuterung hätte man sich allenfalls gewünscht, wo es um „auftragsgebundene Verhaftungen“ geht. In welchem Maße und unter welchen politischen Rahmenbedingungen hatte die SED Verhaftungswellen forciert oder stillschweigende Erledigung angeordnet? Nach der unverzichtbaren Kurzcharakteristik von Willi Opitz zu den Verantwortungs- und Aufgabenbereichen von Diensteinheiten der Abwehr geben Günter Möller und Wolfgang Stuchly in ihrem ausführlichen Beitrag zur Spionageabwehr zunächst einen kompakten Überblick über das Angriffspotential, mit dem der Verbund westlicher Geheimdienste und ihrer Frontorganisationen gegen die DDR antrat. Er bietet hier wenig Neues und hätte bei der Analyse der geheimdienstlichen Angriffe etwas besser zwischen BND und Verfassungsschutz differenzieren sollen. Der Informationsgehalt nimmt da deutlich zu, wo die erfolgreiche Abwehrarbeit des MfS ohne Häme dargestellt wird. Sein Neuigkeitswert liegt vor allen da, wo eine Vielzahl vorheriger Publikationen unter der Einseitigkeit leidet, den ostdeutschen Geheimdienst als Schattenboxer darzustellen, der auf einen nur eingebildeten Gegner einschlägt. Die diesbezüglichen Ausführungen beseitigen das Vorurteil, dass es – bei allen Nuancen (Das MfS verzichtete z.B. auf den Einsatz von agent provocateur) - Wesensunterschiede zwischen der nachrichtendienstlichen Tätigkeit der demokratisch verfaßten Systeme des Westens und der Regime der Warschauer Vertragsstaaten gegeben habe. 

Den wohl polemischsten Beitrag „Zur Sicherung der politischen Grundlagen der DDR“ legt Wolfgang Schmidt vor, der „Selbstherrlichkeit, Realitätsverlust und Arroganz“ der SED ebenso scharf tadelt wie westliche Medien. Er beschreibt und rechtfertigt die Arbeit der Hauptabteilung XX, „dem eigentlichen Zentrum der Staatssicherheit“, mit dem Auftrag und nicht aufgegebenen Anspruch, in zahlreichen Sicherungsbereichen vom Sport über die Kultur bis zu den Kirchen das öffentliche und halböffentliche Leben in der DDR unter Kontrolle zu halten. Weder die Hinweise auf die antifaschistische Arbeit gegen jugendliche Rechtsradikale noch die Verweise auf eine kleine Minderheit von nur 300 Bürgerrechtlern und deren Kontakte zu westlichen Geheimdiensten können jedoch über die ganze Fragwürdigkeit des Überwachungsapparates hinwegtäuschen. Dass die XX die Aktivitäten kleiner Gruppen als „politische Untergrundtätigkeit“ glaubte verfolgen zu müssen, bleibt der Menschenrechtsverletzung geschuldet, dass die SED eine politische Betätigung und Organisation von Andersdenkenden nicht zuließ. 

Ausgesprochen mager kommt der Beitrag von Horst Männchen und Wolfgang Schwanitz daher. Sei es, dass hier Informationen für ein späteres Buch bevorratet wurden, oder dass die Skizze aus anderen Gründen unvollendet blieb, der Informationswert der Ausführungen über die Funkelektronische Abwehr und Aufklärung ist bescheiden. Weder werden die eigenen Möglichkeiten und Stationen einigermaßen vollständig dargestellt, noch die hinreichend bekannten Methoden und Lauschposten des Gegners. Vielmehr wird sogar undifferenziert die Mär fortgeschrieben, die Organisation Gehlen habe ein flächendeckendes Netz von so genannten „Ernstfallfunkern“ aufgebaut, wo es sich tatsächlich nur um eine früh enttarnte Handvoll Pullacher Schweigefunker gehandelt hatte. Korrekt dargestellt ist das „E-Netz“ hingegen bei Möller und Stuchly und das verweist auf einige Abstimmungsmängel, deren Behebung auch einige verzichtbare Wiederholungen beseitigt hätte. 

Unter dem unscheinbaren Titel „Sicherung der Volkswirtschaft der DDR“ kommt eines der dunkelsten Kapitel der Ost-West-Auseinandersetzung daher. Siegfried Hähnel und Alfred Kleine bilanzieren die Kampfmaßnahmen Westdeutschlands und seiner angelsächsischen Verbündeten im Wirtschaftskrieg seit den 50er Jahren. Von der Embargopolitik über Sabotageakte bis zur Abwerbung von Spezialisten durch den BND hat die Bundesrepublik das friedliche Zusammenleben der Völker grundgesetzwidrig gestört. Auf über 150 Seiten werden Fälle über Fälle anonymisiert ausgebreitet, ohne zu verhehlen, dass es sowohl Widerstand aus der Bevölkerung gab als auch westliche Initiative und Beeinflussung. Die Autoren sitzen nicht der Verschwörungstheorie eines Masterplans zur Liquidierung der DDR auf, sondern sehen sehr wohl, dass ein „antikommunistischer Grundkonsens“ im Westen Politik, Wirtschaft und Medien an einem Strang ziehen ließ, wo es um die Schädigung der Volkswirtschaft der DDR ging. Das spiegelt sich auch im Spektrum der Maßnahmen von der Erpressung von Reisekadern durch den BND bis zur Legalisierung der Bestechung von DDR-Funktionären im Steuerrecht. Obwohl ihrer Ansicht nach „alle dazu bisher erfolgten Veröffentlichungen ... am Kern des Problems vorbei“gehen, sparen Hähnel und Kleine den Komplex Kommerzielle Koordinierung ganz aus, vorgeblich, um westliche Geschäftspartner, die sich nicht an Embargobestimmungen gehalten haben, zu schützen. Wenigstens einige der Autoren hatten jedoch genug Einblicke in die geheimen Kanäle zwischen Bonn, München und Ost-Berlin, um zu wissen, dass es nicht allein um schwarze Schafe in der bundesrepublikanischen Wirtschaft geht, sondern um eine zwischenstaatliche Schiene. Der Mangel an gerichtsfesten Beweisen mag sie bewogen haben, hier so manche Komplizenschaft, die quer zu den Propagandaschlachten lief, ins Licht zu rücken. 

Wo Gerhard Niebling „Gegen das Verlassen der DDR, gegen Menschenhandel und Bandenkriminalität“ Position bezieht, versucht er das Verständnis für die DDR-Politik des Einsperrens der eigenen Bürger zu wecken, das die USA oder Frankreich im August 1961 an den Tag legten. Dass es überwiegend Wirtschaftsflüchtlinge gab und nicht politische Widersprüche zur SED- und Staatsführung für den zeitweisen Massenexodus verantwortlich waren, ist ebenso zutreffend wie die Tatsache, dass Menschenhändler den Freiheitsdrang in bare Münze umzusetzen suchten und dabei sogar juristische Rückendeckung und geheimdienstliche Flankierung in der Bundesrepublik genossen. Die materiellen Motive der im Westen gefeierten „Fluchthelfer“ zu geißeln, mag berechtigt sein, doch man sollte dabei nicht unterschlagen, dass deren finanzielle Beweggründe vom Polit-Schacher bei der Freikaufpraxis zwischen beiden deutschen Staaten noch in den Schatten gestellt wurden. 

Beim Beitrag von Gerhard Neiber und Gerhard Plomann über die „Abwehr von Terror und anderen Gewaltakten“ darf man durchaus in Zweifel ziehen, ob Terror quasi naturgesetzlich zum „Wesen der kapitalistischen Gesellschaft“ gehört. Dass Nato-Staaten und voran ihre Führungsmacht die Unterstützung terroristischer Gruppierungen als politisches Instrument einsetzten, ist jedoch unbestritten.Vielfach werden zur Illustration Aktionen insbesondere der US-Dienste herangezogen, die in Lateinamerika oder der Dritten Welt stattfanden, aber auch in Italien. Die Autoren konnten auch der Verlockung nicht widerstehen, am aktuellen Beispiel Afghanistan deutlich zu machen, dass die USA dort ernten, was sie zwanzig Jahre zuvor an Terror gesät haben. Hier wäre anstelle des bloßen Nebeneinanderstellens eine an Einzelfällen orientierte Aufarbeitung von Geheimoperationen dienlicher gewesen, in denen das MfS und seine Gegner bei den Stellvertreterkriegen in Afrika gleichermaßen agierten. 

Die untauglichen Versuche, den Terroristen Carlos, seinen Komplizen Weinrich und selbst das Lockerbie-Attentat in den Dunstkreis des MfS zu rücken oder ihm Killerkommandos anzudichten, sind eine längst überfällige Abwehr der auch juristisch gescheiterten Kriminalisierung dieses MfS-Bereichs. Beim Themenkomplex RAF bleiben die Autoren allerdings die Antwort auf die Frage schuldig, inwieweit es bei der Aufnahme westdeutscher Terroristen in der DDR ein gezieltes Zusammenwirken ost- und westdeutscher Politiker und Dienste gegeben hat. Handwerklich solide kommen die Beiträge von Manfred Dietze und Bernhard Riebe zur Militärabwehr und Wolfgang Schwanitz Ausführungen zu „MfS und Verteidigungszustand“ daher, die neben der Strukturgeschichte wiederum die blockübergreifende Baugleichheit von Kriegsplanungen betonen, wo es um Internierungsplanungen in der DDR und den USA beziehungsweise um Notstandsmaßnahmen in beiden deutschen Staaten geht. Wo Karli Coburger und Dieter Skiba „Die Untersuchungsorgane des MfS“ und Siegfried Rataizik den „Untersuchungshaftvollzug im MfS“ darstellen, korrigieren sie anhaltende Schieflage in deutscher Vergangenheitsbewältigung: Eine Ausstellung zu Kriegsverbrechen der Wehrmacht kam nur durch private Initiative zustande und scheiterte im ersten Anlauf an wenigen unzutreffenden Bildzuordnungen. Eine Gedenkstätte zum Untersuchungshaftvollzug des MfS hingegen lebt von öffentlichen Mitteln und muss es mit der Wahrheit so genau nicht nehmen. Die Beiträge von Willi Opitz zur Juristischen Hochschule Potsdam des MfS und über „Akten, Karteien und eine Behörde“ erweisen sich auch als Abrundung des inneren Geschichtsbildes leitender MfS-Mitarbeiter und als notwendige Herausforderung an die Gauck-/Birthler-Behörde, die „Opfer-Akten“ sachgerechter zu klassifizieren und im Interesse einer objektiven Geschichtsschreibung endlich von der Selektion zwischen der Freigabe MfS-typischer Operativvorgänge und dem Zurückhalten von Quellen zu den westlichen Nachrichtendiensten abzurücken. 

Mit einem Schuss mehr innerer Souveränität und Vertrauen in die langfristige Wirkung von Fakten hätte das Autorenkollektiv die weitgehende Polarisierung der MfS-Literatur zwischen „Opfernostalgie“ und „Täternostalgie“ überwinden können. Jüngere Historiker, die die verlorenen Gefechte der westlichen Nachrichtendienste im Kalten Kriege nicht durch moralische Verdammung und handwerkliche Überhöhung des MfS nun auf dem Papier gewinnen wollen, werden jedoch nicht umhin können, die ausgebreitete Faktenlage zu rezipieren und in die Anlalyse des Schriftguts die Gesinnungslage der Akteure einzubeziehen. Das Fehlen von Personen- und Sachregistern sowie die Marotte, selbst bekannte Nachnamen mit einem Großbuchstaben abzukürzen, macht diese Aufgabe nicht leichter. Hilfreich wäre überdies eine Vita aller Autoren gewesen, die Auskunft darüber gibt, wie intensiv hier Insiderwissen und wissenschaftliches Arbeiten ineinanderflossen.