Verbunden mit der Darstellung seiner Aufseherrolle in Pullach zeichnet James H.
Critchfield ein subtil vernichtendes Psychogramm Reinhard Gehlens, dem er Misstrauen bis
hin zur Paranoia und eine zeitweise getrübte Urteilsfähigkeit nachsagt. Bei allem
Respekt für die Aufbauleistung Gehlens bescheinigt er ihm eine "argwöhnische und
gelegentlich hysterische Natur" und die Neigung zu "politischen
Machenschaften".
Er offenbart unbekannte Tiefpunkte in der Karriere des ersten BND-Präsidenten, dessen
Weiterbeschäftigung in US-Diensten mehrfach auf Messers Schneide stand, erstmals als die
Army ihn 1946 loswerden wollte. Die Übernahme durch die CIA im Juli 1947 war ein offenes
Rennen und der US-Auslandsnachrichtendienst stand mehrfach kurz davor, sich von der OG zu
trennen, z.B. Anfang 1950, als sich Gehlen um das Amt des Verfassungschefs bemühte, dabei
am Widerstand der Briten scheiterte und den Zorn des US-Hochkommissars John McCloy auf
sich gezogen hatte. Im April 1950 drohte Gehlen selbst zum wiederholten Male die
Selbstauflösung seiner Truppe an, weil er mit dem Misstrauen und der Knauserigkeit seines
amerikanischen Brotherrn haderte. Wegen der Unterwanderung der OG durch Ostagenten
beschloss der Generalstab des US-Heeres in Washington 1954 Maßnahmen einzuleiten, die
Adenauer bewegen sollten, Gehlen fallen zu lassen.
Ursächlich für diese rigorose Ablehnung war die von 1950 bis 1955 laufende Operation
Campus des Counter Intelligence Corps der US-Streitkräfte in Offenbach, die - ohne Wissen
der CIA, wie Critchfield beteuert Gehlens Apparat ausspähte und sich dabei auf
OG-Angehörige wie den Gestapomann und Leiter einer Generalvertretung der OG Alfred
Benzinger stützen konnte.
Der CIA-Veteran skizziert auch Charakter und Funktion des Personals aus dem engsten
Führungszirkel vom dem aus Fremde Heere Ost stammenden alter ego Gehlens Heinz Danko
Herre über den amerikafreundlichen persönlichen Referenten Eberhard Blum bis zu dem
ehemaligen Leiter des Militärattachédienstes im Dritten Reich, Horst von Mellenthin, der
mit seinem Stab für besondere Beziehungen schon Ende der 1940er Jahre die politische
Landschaft in Bonn und den Bundesländern pflegte.
In den USA ist den Memoiren entgegen gehalten worden, sie unterschlügen die
Durchsetzung der OG mit ehemaligen Angehörigen der SS-Sicherheitsdienste - zu Unrecht,
wie EX-BND-Präsident Hans-Georg Wieck im Vorwort meint betonen zu müssen. Tatsächlich
verkürzt Critchfield die NS-Belastung der OG unzulässig auf den Kreis um die für die
Spionageabwehr zuständige Karlsruher Generalvertretung und übersieht die zahlreichen in
anderen Außenstellen reüssierenden Gestapoleute. In diesem Zusammenhang schildert
Critchfield auch den frühen, seit Sommer 1954 keimenden CIA-Verdacht gegen Gehlens
Protege Heinz Felfe, dessen Enttarnung als KGB-Spion den BND 1961 in eine der tiefsten
Krisen seiner Geschichte stürzte und den Informationsaustausch mit der CIA über
Jahrzehnte so belastete, dass selbst die kleinen skandinavischen Dienste mehr Fakten aus
den USA bekamen als das eigene Ziehkind.
Das verzweigte Netz von General- und Untervertretungen, von Filialen und kleinsten
Residenturen bleibt unerwähnt, die Ansicht der OG bleibt weitestgehend auf das Camp
Nikolaus in Pullach und die dort mit monatlich 125.000 US-Dollar ausgestatteten 300 OGler
beschränkt. Auch über das operative Spionagegeschäft erfährt der Leser nichts
nennenswert Neues. Die frühen Erfolge beim Gewinnen hochrangiger Innenquellen in der DDR,
und die anschließende Kette der Misserfolge nach der Gegenoffensive des MfS ab 1955
werden nur kursorisch abgehandelt. Einzig die erfolgreiche Aufklärung der sowjetischen
Luftstreitkräfte durch Gehlens Horchfunker während der sowjetischen Blockade Berlins
1948 wird hervorgehoben, weil sie maßgeblich für die Entscheidung der CIA war, die OG in
ihre Dienste zu stellen.
Dafür nimmt eine in der Geheimdienstliteratur bisher nur stiefmütterlich behandelte
Rolle der OG breitesten Raum ein, ihre Funktion als Denkfabrik und Personalreservoir der
Remilitarisierung Westdeutschlands. Angeführt von den Generalen Adolf Heusinger und
Hermann Foertsch besetzten bereits 1948 30 bis 40 Generalstabsoffiziere in Pullach
Schlüsselpositionen für das Projekt Wiederbewaffnung. Das lief bis Ende 1949 als auch
vor den West-Alliierten verborgene Geheimsache, bis die Blockkonfrontation so deutliche
Konturen bekam, dass die unter maßgeblichem Einfluss Pullachs verfasste Himmeroder
Denkschrift von 1952 den Grundstein für die Bundeswehr und ihre Integration in westliche
Militärbündnisse legte. Auch dabei erfuhr die OG die Unterstützung der CIA, die 1952
als Türöffner beim amerikanischen Hochkommissar John McCloy fungierte. Und selbst die
letzten Hindernisse für die Integration der Bundesrepublik in die Nato in London räumte
die CIA dadurch aus dem Wege, dass sie 1953 die Kontakte zwischen der OG und dem
britischen Auslandsnachrichtendienst herstellte.
Über die Zeit nach 1956 verbreitet der im April 2003 verstorbene Autor nur
Gesellschaftsnachrichten über die anhaltend guten privaten Kontakte zu westdeutschen
Spitzengeheimdienstlern und ihren Familien. Dabei wäre die anhaltend gute dienstliche
Zusammenarbeit durchaus der Erwähnung wert gewesen, beispielsweise dort, wo Critchfield
in seiner Eigenschaft als Leiter des Nah-Ost-Referats der CIA dem BND Anfang 1971 bei der
Anbahnung von Partnerdienstkontakten nach Ägypten behilflich war.
Insgesamt liefert Gehlens counterpart einen in seiner Nüchternheit unbequemen Beitrag
zur Feier eines 50sten Geburtstages, zu dem der erneut angeschlagene BND außer einem
zweiteiligen ARD-Beitrag aus der Rubrik "Dauerwerbesendung" keine erhellende
Festschrift beisteuert.
Chritchfield, James H.: Auftrag Pullach. Die Organisation
Gehlen 1948 1956, Verlag E. S. Mittler & Sohn: Hamburg
2005, 256 S.