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Ein Sonderling an der Wiege der Wiederbewaffnung - Gehlens Paranoia und die Geburtswehen des BND

Rezension von Erich Schmidt-Eenboom


Die Erinnerungen des Mannes, der im Auftrag der CIA von 1949 bis 1956 die Organisation Gehlen (OG) beaufsichtigte, sind vielschichtig. Sie reichen von den Eindrücken eines Besatzungsoffiziers im besiegten Deutschland und Österreich über zeitgeschichtliche Beobachtungen zum gesteuerten Auszug der Juden nach Palästina 1947/48 und die Innenansicht der OG bis zu zahlreichen Ereignissen im Geheimdienstdschungel der 1950er Jahre, die substantiellen Neuigkeitswert haben.

Verbunden mit der Darstellung seiner Aufseherrolle in Pullach zeichnet James H. Critchfield ein subtil vernichtendes Psychogramm Reinhard Gehlens, dem er Misstrauen bis hin zur Paranoia und eine zeitweise getrübte Urteilsfähigkeit nachsagt. Bei allem Respekt für die Aufbauleistung Gehlens bescheinigt er ihm eine "argwöhnische und gelegentlich hysterische Natur" und die Neigung zu "politischen Machenschaften".

Er offenbart unbekannte Tiefpunkte in der Karriere des ersten BND-Präsidenten, dessen Weiterbeschäftigung in US-Diensten mehrfach auf Messers Schneide stand, erstmals als die Army ihn 1946 loswerden wollte. Die Übernahme durch die CIA im Juli 1947 war ein offenes Rennen und der US-Auslandsnachrichtendienst stand mehrfach kurz davor, sich von der OG zu trennen, z.B. Anfang 1950, als sich Gehlen um das Amt des Verfassungschefs bemühte, dabei am Widerstand der Briten scheiterte und den Zorn des US-Hochkommissars John McCloy auf sich gezogen hatte. Im April 1950 drohte Gehlen selbst zum wiederholten Male die Selbstauflösung seiner Truppe an, weil er mit dem Misstrauen und der Knauserigkeit seines amerikanischen Brotherrn haderte. Wegen der Unterwanderung der OG durch Ostagenten beschloss der Generalstab des US-Heeres in Washington 1954 Maßnahmen einzuleiten, die Adenauer bewegen sollten, Gehlen fallen zu lassen.

Ursächlich für diese rigorose Ablehnung war die von 1950 bis 1955 laufende Operation Campus des Counter Intelligence Corps der US-Streitkräfte in Offenbach, die - ohne Wissen der CIA, wie Critchfield beteuert – Gehlens Apparat ausspähte und sich dabei auf OG-Angehörige wie den Gestapomann und Leiter einer Generalvertretung der OG Alfred Benzinger stützen konnte.

Der CIA-Veteran skizziert auch Charakter und Funktion des Personals aus dem engsten Führungszirkel vom dem aus Fremde Heere Ost stammenden alter ego Gehlens Heinz Danko Herre über den amerikafreundlichen persönlichen Referenten Eberhard Blum bis zu dem ehemaligen Leiter des Militärattachédienstes im Dritten Reich, Horst von Mellenthin, der mit seinem Stab für besondere Beziehungen schon Ende der 1940er Jahre die politische Landschaft in Bonn und den Bundesländern pflegte.

In den USA ist den Memoiren entgegen gehalten worden, sie unterschlügen die Durchsetzung der OG mit ehemaligen Angehörigen der SS-Sicherheitsdienste - zu Unrecht, wie EX-BND-Präsident Hans-Georg Wieck im Vorwort meint betonen zu müssen. Tatsächlich verkürzt Critchfield die NS-Belastung der OG unzulässig auf den Kreis um die für die Spionageabwehr zuständige Karlsruher Generalvertretung und übersieht die zahlreichen in anderen Außenstellen reüssierenden Gestapoleute. In diesem Zusammenhang schildert Critchfield auch den frühen, seit Sommer 1954 keimenden CIA-Verdacht gegen Gehlens Protege Heinz Felfe, dessen Enttarnung als KGB-Spion den BND 1961 in eine der tiefsten Krisen seiner Geschichte stürzte und den Informationsaustausch mit der CIA über Jahrzehnte so belastete, dass selbst die kleinen skandinavischen Dienste mehr Fakten aus den USA bekamen als das eigene Ziehkind.

Das verzweigte Netz von General- und Untervertretungen, von Filialen und kleinsten Residenturen bleibt unerwähnt, die Ansicht der OG bleibt weitestgehend auf das Camp Nikolaus in Pullach und die dort mit monatlich 125.000 US-Dollar ausgestatteten 300 OGler beschränkt. Auch über das operative Spionagegeschäft erfährt der Leser nichts nennenswert Neues. Die frühen Erfolge beim Gewinnen hochrangiger Innenquellen in der DDR, und die anschließende Kette der Misserfolge nach der Gegenoffensive des MfS ab 1955 werden nur kursorisch abgehandelt. Einzig die erfolgreiche Aufklärung der sowjetischen Luftstreitkräfte durch Gehlens Horchfunker während der sowjetischen Blockade Berlins 1948 wird hervorgehoben, weil sie maßgeblich für die Entscheidung der CIA war, die OG in ihre Dienste zu stellen.

Dafür nimmt eine in der Geheimdienstliteratur bisher nur stiefmütterlich behandelte Rolle der OG breitesten Raum ein, ihre Funktion als Denkfabrik und Personalreservoir der Remilitarisierung Westdeutschlands. Angeführt von den Generalen Adolf Heusinger und Hermann Foertsch besetzten bereits 1948 30 bis 40 Generalstabsoffiziere in Pullach Schlüsselpositionen für das Projekt Wiederbewaffnung. Das lief bis Ende 1949 als auch vor den West-Alliierten verborgene Geheimsache, bis die Blockkonfrontation so deutliche Konturen bekam, dass die unter maßgeblichem Einfluss Pullachs verfasste Himmeroder Denkschrift von 1952 den Grundstein für die Bundeswehr und ihre Integration in westliche Militärbündnisse legte. Auch dabei erfuhr die OG die Unterstützung der CIA, die 1952 als Türöffner beim amerikanischen Hochkommissar John McCloy fungierte. Und selbst die letzten Hindernisse für die Integration der Bundesrepublik in die Nato in London räumte die CIA dadurch aus dem Wege, dass sie 1953 die Kontakte zwischen der OG und dem britischen Auslandsnachrichtendienst herstellte.

Über die Zeit nach 1956 verbreitet der im April 2003 verstorbene Autor nur Gesellschaftsnachrichten über die anhaltend guten privaten Kontakte zu westdeutschen Spitzengeheimdienstlern und ihren Familien. Dabei wäre die anhaltend gute dienstliche Zusammenarbeit durchaus der Erwähnung wert gewesen, beispielsweise dort, wo Critchfield in seiner Eigenschaft als Leiter des Nah-Ost-Referats der CIA dem BND Anfang 1971 bei der Anbahnung von Partnerdienstkontakten nach Ägypten behilflich war.

Insgesamt liefert Gehlens counterpart einen in seiner Nüchternheit unbequemen Beitrag zur Feier eines 50sten Geburtstages, zu dem der erneut angeschlagene BND außer einem zweiteiligen ARD-Beitrag aus der Rubrik "Dauerwerbesendung" keine erhellende Festschrift beisteuert.

Chritchfield, James H.: Auftrag Pullach. Die Organisation Gehlen 1948 – 1956, Verlag E. S. Mittler & Sohn: Hamburg 2005, 256 S.