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Die DDR in der Dritten Welt

Rezension von Erich Schmidt-Eenboom


Oberst a. D. Bernd Fischer, Mitarbeiter der HV A ab 1965, saß ab 1975 in der Leitung der Abteilung III der HV A, die auch für die Dritte Welt zuständig war, übernahm im Oktober 1989 die Leitung des neu geschaffenen Bereiches II (Ausland ohne Bundesrepublik) und war von März bis Juni 1990 der letzte Leiter der in Auflösung befindlichen HV A. So kann er bei seiner Darstellung des Auslandsengagements des MfS gestützt auf seine Erinnerungen und die Zuarbeit einer Handvoll ehemaliger Kollegen aus dem Vollen schöpfen. Das Buch ist ein Stück kollektiver Memoirenliteratur, das konsequent auf das Heranziehen nur rudimentär vorhandener Akten und politikwissenschaftlicher Arbeiten verzichtet, und es ist weit faktenreicher, als man es von solcher mündlichen Überlieferung erwarten könnte.

Fischer beschreibt den nachrichtendienstlichen Beitrag zur Außenpolitik der DDR chronologisch im Wesentlichen auf zwei Perioden konzentriert. Von der Mitte der 1950er Jahre bis zur ersten Hälfte der 1960er Jahre arbeitete die HV A nur über legal abgedeckte Residenturen, wo "Diplomaten mit zwei Berufen" tätig waren, und reisende IM. Die in der Westarbeit vorherrschende "illegale Linie" wurde nur ausnahmsweise praktiziert. Unter den Bedingungen der Hallstein-Doktrin, mit der Bonn die diplomatische Anerkennung der DDR blockierte, war die operative Basis in den Auslandsvertretungen der DDR relativ klein. Zu Beginn der 1970er Jahre, nach der umfassenden völkerrechtlichen Anerkennung der DDR, erfolgte ein massiver Ausbau der Zahl und der Größe der legal abgedeckten Stationen mit Offizieren im besonderen Einsatz und zahlreichen IM. Zugleich deckte die HV A damit nahezu den gesamten Globus ab von Fernost bis Lateinamerika mit bewusster Ausnahme von Israel.

Im Februar 1990 agierten letztlich 62 Mitarbeiter der HV A in 28 Staaten. Im Laufe der Jahre pflegte sie Beziehungen zu 17 Partnerdiensten, davon sechs in Nah-/Mittelost und sieben in Schwarzafrika sowie zu 19 Befreiungsorganisationen, davon acht in Nah-Mittelost. Nicht zufällig gab es für Palästinensische Widerstandsbewegungen ein eigenes Referat. Besonders informativ ist naturgemäß die Darstellung des Palästinenserproblems, weil sie Fischers ureigenstes Feld berührt. Mit 29 Jahren übernahm er 1969 die MfS-Residentur in Kairo und pflegte in seinen fünf Jahren am Nil enge persönliche Beziehungen zu Yassir Arafat und dessen Geheimdienstchef Abu Jihad. Eine "operative, auf nachrichtendienstliche Operationen oder Aktionen orientierte Zusammenarbeit" mit den Palästinensern habe es trotz Hilfen bei der Ausbildung nicht gegeben, so der ehemalige Statthalter von Markus Wolf in Ägypten, wohl aber die Gewinnung von Erkenntnissen über die Arbeit von BND und CIA aus palästinensischen Quellen. Seit sich der KGB ab 1961 die Dritte Welt zum Spielfeld begrenzter Konfrontation mit dem Westen erkor, avancierte die HV A zum Juniorpartner bei der personellen und logistischen Unterstützung von sowjetisch orientierten Staaten. Ihre Residenturen in der Dritten Welt wirkten eng mit denen des Bruderdienstes zusammen, gewannen in den 1980er Jahren aber eine zunehmende Eigenständigkeit.

Die geweckte Neugier wird nicht überall befriedigt. Die Geschichte der rund 2.000 inoffiziellen Mitarbeiter, ihre Identitäten und Operationen bleiben im Dunkeln. Gern erführe die Leserin oder der Leser auch Genaueres darüber, wie es der kleinen HV A in Indien und Indonesien gelang, erfolgreiche Gegenspionageoperationen gegen die große CIA aufzuziehen. Aus dem Anhang, der insgesamt überfrachtet ist, sticht als auch mentalitätsgeschichtlich interessante Anlage der Bericht von Herbert Graf über die DDR-Aktivitäten in Mosambik hervor.

Vehement weist Fischer alle Vorwürfe zurück, die DDR sei in den internationalen Terrorismus verstrickt gewesen, sie habe ihn zwar aufgeklärt und letztlich bei der PLO sogar mäßigend eingewirkt. Er bestreitet auch, dass sie sich über ihren Nachrichtendienst "an militärischen oder inneren Auseinandersetzungen in Drittstaaten aktiv beteiligt" habe. Er verschweigt jedoch auch nicht, dass Erich Honecker 1980 gegen den Rat der HV A die Lieferung von Panzern nach Äthiopien auf den Weg brachte, weil der Staats- und Parteichef beratungsresistent war und gern den Gönner gab. Solcher "Subjektivismus bei Entscheidungen der Partei- und Staatsführung" war dem ostdeutschen Dienst häufiger ein Dorn im Auge.

Die Darstellung betont überdies, der DDR-Dienst habe sich "nirgendwo in nationale oder bilaterale Konflikte eingemischt". Die auswärtigen Angelegenheiten ihrer Gastländer hat das MfS dennoch zu beeinflussen gesucht, vor allem, was deren Außenpolitik gegenüber der Bonner Republik und den Kampf um die diplomatische Anerkennung der DDR betraf. Zwei Beispiele sollen diesen deutsch-deutschen Konkurrenzkampf um Einflusszonen erhellen.

Fischer verbucht als Erfolg der HV A, dass 1964 mit Sansibar ein Durchbruch gegen den Alleinvertretungsanspruch der BRD erzielt worden war. Vor dem Vertrauensmännergremium des Bundestags erläuterte BND-Präsident Gerhard Wessel in geheimer Sitzung im Juni 1968, wie der deutsch-deutsche Konkurrenzkampf um die Gunst Tansanias danach ablief, um kommunistische, vor allem "sowjetzonale" Aktivitäten auf und von Sansibar einzudämmen, das 1964 mit Tansania vereinigt worden war. Er verwies auf langjährige Verbindungen zum Sicherheitsdienst des Landes sowie auf Ausbildung, Beratung und Gerätehilfen über einen konspirativen BND-Residenten. Gekrönt wurde diese Unterstützung 1968 durch eine mehrwöchige Ausbildung des persönlichen Referenten und des Pressechefs von Staatspräsident Julius Kambaraga Nyerere beim BND. "Sehr günstige Einwirkungsmöglichkeiten zugunsten BRD und gegen SBZ-Aktivität gegeben", resümierte Wessel vor den Abgeordneten.

Fischer schildert, dass die HV A in Indien mit Bombay, Kalkutta, Madras und Neu-Delhi (ab 1972 nur noch in der Hauptstadt) gleich vier Residenturen unterhielt. In der Krisenregion auf dem indischen Subkontinent bewährte sich die HV A mehrfach als Vermittler. Sie hatte ihren Anteil am Friedensschluss nach dem indisch-pakistanischen Grenzkrieg 1965 in Kaschmir, half den Folgekrieg 1971 zu beenden und begleitete 1972 die Herauslösung von Bangladesch aus dem indischen Staatsverband. Im Wettlauf um die Gunst des größten blockfreien Staats trug die HV A damit mehr als nur ein Scherflein zugunsten der Warschauer Vertragsstaaten bei. Insbesondere solche globalen Ambitionen Ost-Berlins waren Bonn ein Dorn im Auge. Als der BND im Vorfeld des Staatsbesuchs von Kurt-Georg Kiesinger in Indien im November 1967 erfuhr, dass die DDR durch die Entsendung der früheren stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats Margarete Wittkowski "Störaktionen" vorbereitete, startete er seine Operation "Igel". Ein BND-Team flog nach Neu Delhi, nahm Verbindung zum Partnerdienst Research and Analysis Wing (RAW) auf, erreichte die "Entfernung" Wittkowskis und konnte den Bundeskanzler überdies vorab über die indischen Verhandlungspositionen unterrichten. Das gute Verhältnis zum RAW - so Wessel - biete ein erhebliches Gegengewicht gegen "sehr starke sowjetzonale Agitation", die die Anerkennung der DDR durch Indien zum Ziel hatte.

Der BND hat dem Bundesarchiv wohl übergeben, was er beispielsweise 1978 über das Engagement der DDR-Nachrichtendienste in Afrika und Nahost wusste. Zudem liegen Einzelberichte zum Einsatz von MfS-Offizieren als Berater in Ghana 1966 oder über ein Beraterteam 1973 in Sansibar in Koblenz vor. Eigene (Gegen-)Aktivitäten, wie die Anwerbung des abgelösten ghanaischen Geheimdienstchefs Nunoo Mensah als BND-Agent 1983, verschweigt er jedoch weiterhin. Mit Fischers Monographie hat Rot vorgelegt. Blau müsste nachlegen, will es nicht weiter die Deutungshoheit dem DDR-Geheimdienst überlassen. Erst die Zusammenschau beider Blickwinkel wird ein endgültiges Urteil erlauben - ein Urteil auch darüber, inwieweit die westlichen Demokratien ihr freiheitliches Gesellschaftsmodell exportierten oder Diktaturen installierten, um aus ökonomischen Interessen den Schulterschluss zwischen Volksdemokratien in Osteuropa und in der Dritten Welt zu verhindern.

Fischer, Bernd: Als Diplomat mit zwei Berufen. Die DDR-Aufklärung in der Dritten Welt (Band 4 der Geschichte der HV A). Vorwort von Werner Großmann, edition ost: Berlin 2009. ISBN 9783360018021, 224 S., € 14,90